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zu «Arme Seelen, Geister und Gotwärgjini»

Man ist sieh das Sagenerzählen in unserer Walliser Mundart nun schon recht gewohnt. Es wird auch von verschiedenen unserer Zeitgenossen in hervorragender Weise beherrscht und vermittelt so Schätze unserer Sagenwelt. Die Darbietung von Walliser Sagen in vollkommener, bühnengerechter Schriftsprache und die dazu geschaffene Musik einer professionellen Stimmkünstlerin aber, wie wir sie soeben im Zermatter Alpinmuseum hören konnten, stellt in diesem Bereich nun doch etwas Neues dar. Sie genügte den hohen Ansprüchen. die man heute an eine berufsmässig geführte Bühne stellt.

Der «Stoff»

Franziskus Abgottspon bat für diesen Sagen-Abend eine Reihe eindrücklicher Walliser Volkserzählungen früherer Zeiten ausgewählt und teils für die Aufführung bearbeitet Das vom Teufel gerittene «Pferd» eines Visperterminer Hufschmiedes – eigentlich seine Tochter – kam darin ebenso vor wie die Weinpanscherin aus Aroleid, die ihre Missetaten in Sitten verübte, oder die Sage vom Zuhirten, der pfeifen und vom Hirten, der jodeln lernte, und vom Senn, dem der Wille. das Hackbrettspiel zu lernen, den Tod brachte. Besonders rührend und sinnig war auch die Erzählung von den 100 verwandelten Raben, von denen einer seine wahre Identität durch eine Träne im Auge verriet. So ging es in dieser Wort- und Musiksendung über die Gotwärgjii-Hausfrau, von Aggagspun und «Gratzug» weiter bis zum «Alpsegen», kurz: zu einer ausserordentlichen, glücklich aus unseren Sagen schöpfenden Stofffülle.

Sprecher Franziskus Abgottspon

Dass wir in Franziskus einen begnadeten Schauspieler und Sprecher besitzen, muss dem Oberwalliser Publikum nicht mehr gesagt werden. Seine vollkommene Sprechtechnik sowie seine kräftige und bei Textdeutungen äusserst flexible, in grosser dynamischer Bandbreite klingende Stimme steht ihm auch nach seiner Pensionierung als verantwortlicher Hörspielleiter und Schauspieler bei Radio DRS zur Verfügung. Es war berührend, ihn die vorerwähnten Sagen an verschiedenen Stellen des «versunkenen», oft nur wenig beleuchteten Alt-Zermatt, sozusagen vor verschiedenen Bühnenbildern, sprechen zu hören: auf dem «Dorfplatz», in der «Museumskirche», auf der «Galerie», im «Matterhorn-Raum». Er hat die Gabe, die Texte sinnreich zu betonen, sie zu verfremden, sie auch zu überhöhen und so dem Hörer als etwas Neues bedeutsam zu machen. Überdies verstand er es, die oft den religiösen Bereich berührenden Begriffe wie «Arme Seelen», «Ave Maria», «Messe>, «Teufel» usw. nicht lächerlich zu machen, sondern in ihrer unverfälschten Aussage wirken zu lassen – so, wie sie einst auch von den frommen, in Ehrfurcht vor der Natur und deren Geheimnissen lebenden Bewohnern unseres Alpengebietes mit Schaudern als wahr erzählt und von Generation zu Generation weitergegeben wurden. Man war überrascht, wie die hier in Hochsprache – nicht in unserer Muttersprache Mundart – dargestellten Sagen unseren Volkscharakter und unsere Werte zu zeichnen und die recht grosse Zahl der Zuhörerinnen und Zuhörer zu ergreifen vermochten. Sie waren natürlich auch für auswärtige Touristen verständlich. Walliser Sagen mit ihrem archetypischen und oft numinosen Inhalt vermögen also nicht nur in Mundart-Darstellung zu fesseln.

Stimmkünstlerin Agnes Hunger

Die vorzügliche Text-Rezitation Abgottspons erhielt in dieser Aufführung eine neue, zweite Dimension durch das, was Vokalistin Agnes Hunger mit grosser Kreativität beisteuerte. Frau Hunger, ausgebildete Sängerin und Musikerin, sang keine Liedertexte, sondern textlose Musik, Laute, die vom Schrei über Wimmern, Zischen, Jodeln, Tirilieren, Pfeifen, Glucksen bis zu Nachahmungen des Vogelsgesanges und des fernen Echos usw. reichten – immer so, wie es gerade der Text verlangte. Beispielsweise führte sie, als die Sage besonders unheimlich wurde, diese durch ebenso geisterträchtigen~ («schwiiferen») stimmlichen «Kommentar» und entsprechende Stimmung oft abwechselnd mit dem Wort weiter. Oft «unterlegte» sie den unheimlichen Text unmittelbar. Sprechendes diesbezügliches Beispiel waren etwa die i-Laute an jener Stelle, an der die verstorbene Weinpanscherin aus Aroleid im Pfynwald ihr «Pfinggu Pfii / ga scheidu ds Wasser vam Wii» usw. spricht. Diese gesamte wortlose «Begleitmusik» zum gesprochenen Wort hat Vokalistin Hunger selbst komponiert, teils aufgeschrieben, teils improvisiert – alles sehr treffend! Im Matterhorn-Museum mit seinen echt wirkenden Bauten und Winkeln von Alt-Zermatt – dies als dritte Dimension der Darstellung – hatte die Stimmkünstlerin auch zahlreiche, recht sportlich anspruchsvoll ausgeführte Standortwechsel vorzunehmen, um ferne Echos usw. überhaupt erst möglich zu machen. Kurz: ihr Beitrag zum Gesamterlebnis «Wort und Musik – Walliser Sagen, Geister und Gotwärgjini» war faszinierend und künstlerisch auf einem sehr hohen Niveau. Walliser Sagen so zu «erzählen» und zu «musizieren»: So haben wir dies hierzulande noch nie gehört. Es war wunderbar!